Interview mit Hermann Schlichting
1. Warum ist es wichtig, im Produktentwicklungsprozess schon einen genauen Blick auf die
Kosten zu werfen?
Antwort:
Ca. 80% der Herstellkosten eines Produktes werden zum Beginn des Produkt-Entwicklungsprozesses durch das Produkt-Design definiert.
Mit Beginn der Serienfertigung gibt es nur noch geringe Möglichkeiten die Herstellkosten zu beeinflussen.
Wenn sich bei Fertigungsbeginn herausstellt, dass die Herstellkosten zu hoch sind,
können diese nur noch mit einem aufwändigen Produkt-Redesign beeinflusst werden.
Das kostet Zeit und Geld und führt in der Regel zu einer neuen Produktvariante.
Außerdem bindet ein nachträgliches ungeplantes Redesign, „nur zur Kostensenkung“, wertvolle Entwicklungsressourcen.
Diese fehlen dann unter Umständen für die Entwicklung neuer innovativer Produkte.
Damit wird klar, dass der „Kostenmanager“, als „Kosten-Berater“ für die Produktentwickler, von den ersten Konzeptstudien für das neue Produkt, voll in den Produktentwicklungsprozess integriert sein muss, um alle Kostensenkungspotentiale auszuschöpfen.
2. Welche Kostensenkungsmethoden berücksichtigen Sie in Ihrem Seminar?
Antwort:
Im Seminar vermittle ich eine tragfähige Systematik und Methodik. Dazu stelle ich, mit meiner Erfahrung als Kostenmanager
und später als Unternehmensberater, die Analyse-Methoden vor, die sich in Kostensenkungs- und Produktentwicklungs-Projekten
als besonders erfolgreich herausgestellt haben. Diese sind:
- das Target-Costing
- die Erfahrungskurven-Analyse (Kostensenkungspotentiale durch Lerneffekte)
- das Reverse-Engineering (Konkurrenz-Produkt-Analyse)
- Quality Function Deployment und
- die Wertanalyse/Wertgestaltung mit der Funktionskosten-Analyse
Das Target-Costing, die Erfahrungskurvenanalyse und das Reverse-Engineering
fokussieren auf den Markt (externe Einfluss-Faktoren) und unterstützen den
Unternehmer/Auftraggeber bei der Definition der Kostenziele.
Die Definition der „Kosten-Ziele“ ist eine große Herausforderung. Hier ist besondere Sorgfalt und Nachvollziehbarkeit
bei der Definition und Kommunikation der Ziele erforderlich.
Ziele selektieren Vorgehensweisen und Maßnahmen.
Sind die Ziele zu niedrig, wird auch das Ergebnis dementsprechend ausfallen.
Herausfordernde Ziele dagegen, die im ersten Augenblick für zu hoch gehalten
werden, führen, sofern sie für alle Beteiligten nachvollziehbar sind,
zu immer wieder erstaunlichen Ergebnissen.
Das Reverse-Engineering, Quality Function Deployment und die Wertanalyse
unterstützen das Projektteam bei der Analyse und Definition eines
kostenoptimalen Produkt-Designs.
Die Analyse-Fähigkeit ist dabei ein absolut kritischer Erfolgsfaktor.
Wenn wir gründlich analysieren, dann werden uns viele Maßnahmen auf dem
Silbertablett serviert – sie sind einfach da.
Wenn wir z.B. für ein kleines Kostensenkungsprojekt ca. 8 Wochen mit
32 Arbeitstagen ansetzen, dann nimmt die
Analysephase ca. 50-60% davon in Anspruch – also ca. 18 Arbeitstage.
Aber das waren jetzt nur die Analyse-Methoden auf die immer wieder
geachtet wird und die allgemein bekannt sind.
Weitere kritische Erfolgsfaktoren sind das
- Projekt-Management
- die interdisziplinäre Teamarbeit mit einer neutralen Moderation und einer
sorgfältigen Teamentwicklung sowie
- das Umsetzungs-Controlling
Das Thema Teamarbeit ist mir besonders wichtig. Nachdem heute auch
Arbeitsgruppen oder Dienststellen als Teams betrachtet werden, verwende
ich zur Abgrenzung gerne den Begriff „echte Teams“.
Diese „echten Teams“ zeichnen sich dadurch aus, dass Mitarbeiter aus verschieden
Bereichen temporär, z.B. zu einem Kostensenkungsprojekt, zusammengefasst werden.
Um die Fragmentierung der täglichen Arbeit aufzuheben, streben wir eine Teamarbeit
von 3-4 Tagen/Woche, fulltime mit eigenem Teamraum an. Damit schaffen wir die
Voraussetzungen für eine hoch effiziente und vor allem kreative Arbeitsatmosphäre,
die sich dann auch in den Arbeitsergebnissen zeigt.
Nach 30 Jahren Erfahrung mit interdisziplinären Teams kann ich sagen, dass
diese Art von Teams die leistungsfähigste Organisationseinheit für ein
Unternehmen darstellt und dass bei richtiger Gestaltung der Teamarbeit
deutlich höhere Kostensenkungspotentiale identifiziert werden können.
3. Kann man sagen, dass sich bestimmte Methoden besonders gut für eine Art von Produkt eignen?
Antwort:
Bei den in unserem Seminar vorgestellten Methoden gibt es, bis auf QFD
(Quality Function Deployment), keine Einschränkungen.
Die QFD-Methodik eignet sich
nur für niedrig komplexe Produkte, für die z.B. 10 bis 20 Kundenanforderungen
vorliegen und dann zu einem Produkt mit 15 bis max. 25 Konstruktionsmerkmalen führen.
4. Wie sind Sie auf die Idee gekommen, die vielen verschiedenen Kostensenkungsmethoden
miteinander zu kombinieren? Was ist besonders wichtig dabei?
Antwort:
Als junger Kostenmanager, ich hatte bereits Erfahrungen mit der Anwendung der Wertanalyse,
integrierte ich erstmalig das Reverse-Engineering (Konkurrenz-Produkt-Analyse) in ein
Kostensenkungsprojekt.
Im Teamraum visualisierten wir dann auf einer Fläche von ca. 3 x 1,5 m die
Funktionskostenanalysen des Konkurrenzproduktes an der linken Wand und unseres
eigenen Produktes an der rechten Wand.
Die Wirkung auf das Team war verblüffend. Es entstand eine überaus kreative
Atmosphäre und ein großer Ehrgeiz, die Kostenposition des Konkurrenzproduktes
deutlich zu übertreffen.
Es entstand ein „Hochleistungsteam“, das alle Erwartungen übertraf.
Die Zielvorgabe für unser Produkt lautete -30%.
Das Ergebnis nach 7 Wochen intensiver full-time-Teamarbeit lag dann bei -60%.
Nach meinem Wechsel in eine Unternehmensberatung lernte ich,
- zu verstehen was der Kunde will,
- herauszuarbeiten was er tatsächlich braucht und
- die für den Projekterfolg optimalen Methoden einzusetzen
Dabei müssen wir verstehen, dass die eingesetzten Methoden eine Wirkung auf
die Menschen haben, mit denen wir in den Projekten zusammenarbeiten,
aber auch auf die, die außerhalb des Projektes Ihrer Tagesarbeit nachgehen.
Die Definition und Kommunikation der Ziele für ein Kostensenkungs- oder
Produktentwicklungsprojekt ist ein absolut kritischer Erfolgsfaktor.
Die Höhe des Zieles (Kostensenkung oder Herstellkosten für ein neues Produkt)
beeinflusst in hohem Maße das Ergebnis. Ist das Ziel zu niedrig, bleibt in der
Regel auch das Projekt-Ergebnis niedrig.
Hier ist der Unternehmer/Auftraggeber manchmal einfach überfordert.
Die Wertanalyse oder QFD hilft uns hier auch nur sehr begrenzt weiter.
Naheliegend ist dann der Einsatz des Target-Costings. Aber auch das reicht nicht.
Wir brauchen deutlich mehr Informationen vom Markt.
Erst mit dem Einsatz des Reverse-Engineering bekommen wir einen sehr klaren
Blick auf die Technik und Kostenposition der Konkurrenten.
Wenn wir dann noch die Erfahrungskurven-Analyse hinzunehmen, die uns eigene
Kostensenkungspotentiale und auch den Abstand zu unseren Konkurrenten verdeutlicht,
dann sind wir in der Lage eine hochwertige Zieldefinition vorzunehmen.
Diese qualitativ hochwertige und für alle Beteiligten nachvollziehbare
Zieldefinition hält dann
allen kontroversen Diskussionen, u. U. auch mit dem Betriebsrat, stand
und hat eine hohe Wirkung auf die Motivation des Projektteams.
Aus dem zuvor gesagten wird klar, dass es einigen Aufwand erfordern kann, die Ziele
für ein Kostensenkungs- oder Produktentwicklungsprojekt zu definieren.
Aus diesem Grunde wickeln wir dies öfter in einem eigenen Teilprojekt mit Mitarbeitern
aus Strategischer Planung, Controlling, Vertrieb, … zur Unterstützung des Auftraggebers ab.
Es geht also darum, möglichst alle Kostensenkungspotentiale auszuschöpfen.
Mit den in diesem Seminar vorgestellten Methoden und der interdisziplinären
Teamarbeit ist dies sichergestellt.
Wir zeigen sogar auf, wie durch das Produktdesign die in der Regel sehr
intransparenten Gemeinkosten im Unternehmen positiv beeinflusst werden können.
5. Was war das beeindruckenste Kostensenkungsprojekt, an dem Sie gearbeitet haben?
Wie konnten Sie dort die Kosten senken?
Antwort:
Für mich ist jedes Projekt, ob klein oder groß, beeindruckend, da ich im Projekt-Team
die Menschen mit ihrer ansteigenden Identifikation und Motivation erlebe und mit ihnen
Projektergebnisse realisiere, die sie selbst und auch außenstehende am Anfang nicht immer
für möglich gehalten haben.
Besonders herausfordernd war ein Großprojekt eines Produkt- und Systemherstellers
mit dem Ziel weltweit die Herstellkosten und Komplexität um 50%, dies entsprach
500 Mill € / Jahr, zu reduzieren.
Die zu erarbeitenden Maßnahmen sollten innerhalb
von 3 Jahren voll umgesetzt werden. Die Laufzeit dieses Projektes war auf 12 Monate
angesetzt und es war nicht bekannt, wo die Kostensenkungspotentiale lagen.
Mehrere Bereichsleiter sagten mir: „Wir kennen die Produkte und Systeme seit 20 Jahren.
Dass ist nicht zu schaffen, vielleicht schaffen wir 200 Mill € oder auch 300 Mill €,
aber 500 Mill € ist nicht zu schaffen.“
Aus Führungssicht sind solche Aussagen natürlich kontraproduktiv, da die Mitarbeiter
diese Aussagen auch hören, teilweise glauben und eher zur Demotivation führen.
Mit dem Auftraggeber wurde ein Kernteam gebildet und monatliche Meetings zur Information
und Entscheidung vereinbart.
Ich startete das Projekt mit 2 parallel laufenden Potentialanalyse-Teams mit 7 Wochen
Laufzeit mit 4 Tage/Woche fulltime. Die beiden Teams waren interdisziplinär besetzt und
hatten jeweils 6 Teammitglieder (Kosten-Manager, Entwickler, Service, Produktion).
Darüber hinaus wurden temporär Fachberater hinzugezogen.
Die Teambildung in den beiden Teams gestaltete sich schwierig, da das Ziel von einigen
Mitgliedern als unerreichbar betrachtet wurde. Es gab Konflikte und
Meinungsverschiedenheiten untereinander.
Nach 2 Tagen intensiver Arbeit waren dann alle Teammitglieder mit dem Ziel und auch der
Vorgehensweise zur Potentialanalyse einverstanden.
Bei einem gemeinsamen Abendessen (am 3. Tag) „beider“ Teams
(12 Mitarbeiter), wurden dann nebenbei von 3 Mitarbeitern schnell 25 Mill €
Potential identifiziert.
Das wirkte sich sehr positiv auf die weitere Arbeit aus.
Während der Potentialanalyse wurden die gesamten weltweiten Kosten detailliert
aufgegliedert.
An Fremdsystemen führten wir ein Reverse-Engineering durch.
Auch eine Erfahrungskurven-Analyse wurde durchgeführt.
Dies bestätigte das Ziel und zeigte erste Potentiale auf.
Weitere Technologie-, Qualitäts-, Funktions- und Kostentreiberanalysen führten dann
zur Identifikation von Kostensenkungspotentialen in Höhe von ca. 600 Mill €.
Also ca. 20% höher als die Zielvorgabe.
Dies war für alle Beteiligten und auch für den Auftraggeber sehr überraschend
und wirkte sich auf die Stimmung aller Beteiligten und „Nicht“-beteiligten
Mitarbeiter sehr positiv aus.
Jetzt wurden nach und nach 10 Design to Cost Teams mit je 4-6 Mitarbeitern,
neutrale Teammoderation durch Unternehmensberater und 2-7 Wochen Laufzeit gestartet.
In diesen Teams wurde konsequent die Wertanalyse eingesetzt mit Funktions-,
Funktionskosten und morphologischer Analyse sowie Erarbeitung und Bewertung der
Einzelmaßnahmen und Maßnahmenpakete.
Nach 10 Monaten lagen Maßnahmen mit einem bewerteten Kostensenkungspotential
von 620 Mill € vor, die innerhalb von 3 Jahren realisierbar waren.
Darüber hinaus wurden weitere bewertete Maßnahmen in Höhe von 125 Mill € identifiziert,
die allerdings einen größeren Umsetzungszeitraum (>3 Jahre) benötigten.
Die konsequente Anwendung der interdisziplinären fulltime-Teamarbeit,
weitere Integration von Fachberatern, neutrale Teammoderation durch insgesamt
4 Unternehmensberater und die Anwendung der Erfahrungskurvenanalyse,
des Reverse-Engineering, Wertanalyse, Komplexitäts-Analyse,
Technologie-Analysen, Analyse des Energieverbrauchs und vieles mehr sowie
die Identifikation der Kostentreiber führten zu diesem Erfolg.
6. Was für Erkenntnisse kann der Teilnehmer aus Ihrem Seminar direkt
mit in seine tägliche Arbeit nehmen?
Antwort:
Die Teilnehmer bekommen ein Verständnis,
- über die wesentlichsten Design to Cost Methoden.
Diese haben sich in unserer Praxis seit über 20 Jahren bewährt.
- dass der Zieldefinition eine herausragende Bedeutung zukommt in ihrer
Wirkung auf die Menschen und somit auf das Projekt-Ergebnis.
- dass die Anwendung aller Methoden ein höheres
Kostensenkungspotential erschließt, als nur eine Methode allein.
- über die Output-/Input-Beziehungen der Methoden zueinander
(das Beste aus allen vorgestellten Methoden mitnehmen).
- dass bereits die einfach zu handhabende Einführung/Anwendung des
Reverse-Engineering zur Identifikation von Kostensenkungspotentialen führt
und das Unternehmen dadurch verändert.
- dass die Wertanalyse mit ihrer Funktionskostenanalyse, die in der Literatur
umfangreich beschrieben wird, zu neuen Sichtweisen und
Realisierungsansätzen führt.
- dass der Einsatz von interdisziplinären full-time Projektteams mit 3-4
Tagen/Woche die Fragmentierung der täglichen Arbeit umgeht, zu einer
hohen Identifikation und Motivation der Mitarbeiter und in kürzerer Zeit zu
deutlich besseren Ergebnissen führt.
Das hat insgesamt eine deutliche Effektivitäts- und Effizienzsteigerung und somit eine
Kostensenkung für das Unternehmen zur Folge.